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Stargeigerin Janine Jansen: «Die Klassikwelt kommt mir manchmal oberflächlich vor»
Janine Jansen ist eine der besten Geigerinnen der Welt. Sie wagt es auch, dem Betrieb ihre Bedingungen zu diktieren. Doch der Preis ist hoch: 2010 hatte sie ein Burnout. Beim Tonhalle-Orchester Zürich ist sie diese Saison «Artiste in Residence».
Den Teekocher umarmend, als ob er schon Wärme geben würde, wenn man nur ans kochende Wasser denkt, steht Janine Jansen in den Katakomben der Zürcher Tonhalle Maag: Gross und doch zerbrechlich wirkend, an Mimi aus «La Bohème» erinnernd, mit einem Lächeln, das gegen innen gerichtet ist. Oder ist das ihr Schalk?
Kaum ist der Teekocher eingesteckt, geht das Licht im Künstlerzimmer aus, und da fragt die 40-jährige Geigerin ohne den leisesten ironischen Unterton: «Sollen wir im Dunkeln sprechen?» Der Hauswart beendet die Überlegungen rasch und meint trocken: «Teekocher, Heizofen und Kaffeemaschine zusammen geht nicht.»
Wenn es nur das einzige Problem wäre. Unsere erste scheue Frage an die Geigerin wird sein, wie es ihr gehe. Zu Beginn des letzten Jahres hatte Jansen fast alle ihrer Konzerte abgesagt. Im Juli schrieb sie auf Facebook, dass sie sehr traurig sei, nicht gespielt zu haben, und dass es schwierige Monate gewesen seien. Aber nun werde sie langsam gesund und hoffe, bald wieder Musik mit den Menschen teilen zu können. Die Saisoneröffnung in Leipzig sagte sie im September erneut ab, eine Woche später aber stand sie in Zürich auf der Bühne.
Interviews gab sie damals keine, obwohl sie in der Rolle der «Artiste in Residence 2018/2019» ein mediales Aushängeschild des Orchesters sein könnte, dies und jenes tun sollte. Aber Jansen will «dies und jenes» nicht mehr. Sie will sich konzentrieren auf drei Dinge: ihr Leben, ihre Musik, ihre Familie. Nichts soll diese Trinität stören. Sie ist gewarnt, durchlebte sie doch 2010 ein Burnout. Zu den Absagen zu Beginn des Jahres 2018 meint sie: «Es geht mir viel besser. Ich hatte einen kleinen Unfall mit dem Finger und muss vorsichtig sein, dass alles nicht zu viel wird.»
Gewiss, es ist heikel, vom unbekannten Seelenleben eines Menschen auf sein Geigenspiel zu schliessen. Aber wer Jansen im September in der Maag erlebte, erkannte eine unglaubliche Innerlichkeit in ihrem Spiel: Blass stand sie auf der Bühne, der Glanz kam aus dem Instrument. Da herrschte ein immenses Vertrauen in ihre Kunst und in all die Farben, die in ihrer Geige versteckt sind.
Das machte den Schmerz, der aus Alban Bergs Violinkonzert (übertitelt mit «Dem Andenken an einen Engel») spricht, geradezu physisch spürbar. Im Dezember hingegen explodierte Jansen in der Maag innerlich in Anders Eliassons 2010 komponiertem Violinkonzert. Über eine sie besonders berührende Stelle im langsamen Satz hatte sie zwei Tage vorher leise geschwärmt: «Die kommt von ganz oben. Als ob er sprechen würde.»
Einst hörte Jansen auf viele Stimmen. Sie gehörte zu den Geigengirlies, jenem Dutzend junger Geigerinnen, die mit der Jahrtausendwende dank der Plattenfirmen in die Klassikwelt hochgeschossen wurden: In freizügigen seidenen Kleidchen zeigte sich Jansen auf CD-Covers und Pressebildern. Sie lächelt über die Fotos von damals, sagt, dass sie so etwas nie mehr machen würde, und zieht zu den Worten ihre Strickjacke fester um sich.
Karriere oder Leben
Schon damals wusste sie, was ihr gefallen würde: Nicht nur das einsame Herumreisen als Solistin, sondern die warme Atmosphäre an Kammermusikfestivals, wo mit Freunden musiziert wird. Und so sagt sie denn heute ernst, es bestehe durchaus die Gefahr, dass man für die Karriere sein Leben opfere. «Ich brauche etwas neben dem Reisen. Je älter ich werde, umso wichtiger wird das Leben zu Hause mit Familie und Freunden. Das ist nötig für die eigene Energie und Ausdauer: Ich will mich als etwas Ganzes spüren. Dafür brauche ich Zeit und Ruhe.»
Dem entgegen standen bei Jansen der Drang und die Lust, Musik mit den Menschen so oft wie möglich zu teilen: Die Energie des Publikums wirkte auf sie inspirierend. Als sie 2010 aussetzte, sei auch nicht der Gang auf die Bühne das Problem gewesen. Weil die Batterien leer waren, funktionierte das Leben rundherum nicht mehr. «Nie aber habe ich einfach so gespielt, ohne eigentlich zu wollen, ohne etwas geben zu können.»
«Ich musste Bedingungen aufstellen, um das zu erreichen, was ich wollte. Aber das musste ich mich erst getrauen.»
Mit 40 kann Jansen auf ein langes Leben in der Klassikwelt zurückblicken. Ihr Blick darauf ist skeptisch: «Manchmal kommt mir diese Welt oberflächlich vor, es ist alles zu einfach, zu locker. Ich suche nach Vertiefung. Die Musikwelt hält mich davor nicht zurück, aber ich muss bisweilen dafür kämpfen, etwas so zu machen, wie ich wirklich will.» Es geht ums Repertoire und um die Probenzeit, die es braucht, um etwas tiefgründig zu erarbeiten. «Ich musste Bedingungen aufstellen, um das zu erreichen, was ich wollte. Aber das musste ich mich erst getrauen.»
Publikum nicht für blöd verkaufen
Sie mag es auch nicht, wenn die Schwelle zur Klassik niedriger gemacht wird, als sie es eben sei. «Damit nimmt man der klassischen Musik oft ihre Stärke.» Jansen steht dazu, dass Bach und Brahms nicht einlullen, sondern herausfordern sollen. «Diese Musik verlangt Aufmerksamkeit und Beschäftigung», sagt sie.
«Man muss die Leute nicht mit Petitessen in die Säle locken. Das würdigt auch das Publikum herab.» Doch es geht hier nicht um entweder-oder, um moderne Violinkonzerte oder um Unterhaltung à la André Rieu, man könne noch viel zwischen dem Allerweltprogramm und Berg aufführen. Als Artiste in Residence beim Zürcher Tonhalle-Orchester beweist sie das. «In Zürich kann ich etwas erschaffen, kann zeigen, wer ich bin: Man gab mir alle Freiheiten.»
Doch die Zürcher sind skeptisch. Als im Dezember der wenig bekannte Schwede Anders Eliasson auf dem Programm in der Tonhalle Maag stand, gab es Lücken im Saal. Doch Jansen sagt gelassen: «Ich muss das tun, an was ich glaube, ich kann mich nicht verbiegen. Ich lebe für die Musik, mache etwas für die Musik.» Kaum gesagt, nimmt sie den letzten Schluck Tee, es ist das Zeichen, dass sie sich jetzt für die Probe einspielen und Musik von innen erklingen lassen will. Das erfordert den ganzen Menschen.